JohannaProbstInterview mit Johanna Probst, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Neuenburg SFM (Schweizerisches Forum für Migration und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel)

Seit 2014 sind Sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Neuenburg. Was hat Sie motiviert, sich für Migration und insbesondere für das Thema Menschenhandel zu interessieren?

Mit Migration und Asylverfahren habe ich mich im Rahmen meiner Doktorarbeit interessiert. Diese Motivation kam sicherlich auch aus meiner privaten Erfahrung als ich noch nicht in der Schweiz war, wo ich mit Asylbewerber gearbeitet habe. Eine Neugierde für andere Kulturen, anderen Menschen und Länder war schon immer vorhanden.

Was das Thema Menschenhandel anbelangt kann ich sagen, dass dieser eher zu mir gekommen ist als ich zu ihm, da wir im SFM hauptsächlich Mandatsforschungen machen. Wir erhielten 2015 den Auftrag von Fedpol, der Bundespolizei, eine Studie zu Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung zu machen. Diese ist im Jahr 2016 erschienen. Ich war sehr interessiert an diesem Thema, welches mir damals noch völlig neu war. Seitdem habe ich mich sehr eingelesen und die Problematik auf wissenschaftlicher und auch politischer Ebene im Auge behalten.

Sind die Studien über diese Mandate öffentlich zugänglich?

Alle unsere Studien sind öffentlich zugänglich und auf unserer Website publiziert. Die im Jahr 2016 abgeschlossene Studie ist da auch einsehbar. Im Jahr 2017 haben wir in Neuchâtel eine Tagung betreffend Arbeitsausbeutung organisiert, die vor allem die strafrechtlichen Aspekte dieser Thematik behandelte, das Ganze in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte SKMR. Das SFM und einige Personen aus der Rechtsfakultät der Uni Neuchâtel sind in diesem Zentrum für den Themenbereich Migration zuständig. Die Ergebnisse der Diskussion haben wir in einem Synthesepapier publiziert. Die rechtlichen Fragestellungen habe ich seither mit meiner Kollegin, die Juristin ist, weiterverfolgt. Im Moment arbeite ich an einer neuen Studie zur Bekämpfung von Menschenhandel in den Kantonen, die voraussichtlich Ende dieses Jahres publiziert wird.

Ist diese weitere Studie eine Entwicklung der Studie von 2015 oder behandelt es ein weiteres Thema?

Die neue Studie ist wiederum ein Mandat von Fedpol, und dieses Mal geht es um alle Formen von Menschenhandel aber weniger um das Phänomen an sich, sondern eher wie es die Kantone bekämpfen, d.h. wir schauen alle 26 Kantone an, was für ein Dispositiv haben sie eingerichtet und wie viele Fälle generieren sie. Wir versuchen auch das Risiko einzuschätzen und uns mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Faktoren das Risiko für Menschenhandel in einem Kanton erhöhen. Es gibt ökonomische und demographische Faktoren, die dies beeinflussen könnten. So zum Beispiel die Struktur des Arbeitsmarkts, die Grösse des Erotiksektors oder die Anwesenheit einer prekären Migrationsbevölkerung.

Einer der Forschungsbereiche des SFM (Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien) ist den Flüchtlingen und Asylbewerbern gewidmet. Besteht die Gefahr, dass ein Teil dieser Migration zu Menschenhandel führen könnte? Und wenn ja, sind Sie sich dessen bewusst?

Es gibt effektiv eine Verknüpfung zwischen dem Asylbereich und dem Bereich Menschenhandel. Einerseits kann man beobachten, dass Menschenhändler, die Täter im juristischen Sinne, die Personen eben, welche die Fäden ziehen, das Asylverfahren nutzen, um den Personen, die sie ausbeuten wollen, zu einem Aufenthalt zu verhelfen.  Eine momentan an der Universität Bern durchgeführte Studie beschäftigt sich mit dem Thema Kinderhandel, bei dem die Frage der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA) sehr relevant ist. Diese Studie wurde vom Forschungsinstitut für Menschenrechte IZFG, der Universität Bern, durchgeführt. Auf der anderen Seite sind Sans-Papiers, von denen ein Teil abgewiesene Asylbewerber sind, eine vulnerable Gruppe. Sans Papiers geraten leichtern in Abhängigkeitsverhältnisse, weil sie quasi keinen Zugang zur Justiz haben und ständig die Ausschaffung fürchten müssen.

Was sind die Merkmale des Menschenhandels in der Schweiz? Z.B. Prostitution, Arbeitsausbeutung, Organhandel?

Bei den Merkmalen muss unterschieden werden. Es gibt die Fallkonstellationen. Wie ist die Person in die Ausbeutungssituation gelangt, wie wurde sie rekrutiert, welche Tatmittel wurden angewandt, wurde sie getäuscht, wurden Druckmittel angewendet oder bestand bereits eine Situation, die die Ausbeutung möglich gemacht hat.

Der andere Teil ist die Form der Ausbeutung. In welchem Sektor wird die Person ausgebeutet. Da gibt es drei grosse Formen, die auch das Gesetz unterscheidet: Die Prostitution, die Arbeitsausbeutung, die wir in der ersten Studie 2016 angeschaut haben, und der Organhandel, der in der Schweiz nach heutigem Wissen, sehr marginal ist. Dies auch, weil der medizinische Bereich in der Schweiz sehr kontrolliert wird. Man kann somit Organhandel aktuell quasi ausschliessen.

Was die Arbeitsausbeutung anbelangt, ist der Fall sehr unterschiedlich, je nach Sektor. Die betroffenen Sektoren sind die Hauswirtschaft, der ganze Bereich der Privathaushalte. Da sind vor allem Frauen betroffen. Dann gibt es den Bereich der Bauwirtschaft. Da sind ausschliesslich Männer betroffen. Weiter gibt es die Bereiche Landwirtschaft und Gastgewerbe. Ein weiterer Bereich, der teilweise als gesonderte Form von Menschenhandel betrachtet wird, ist die Ausbeutung in illegalen bzw. irregulären Tätigkeiten: Drogenhandel, Einbruch, Diebstahl, Bettelei.

Wie bekommen Sie die Zahlen für die Studien?

Wir haben bewusst keine Zahlen angegeben, wir haben nie gesagt es gibt so und so viele Betroffene. Sonst stützen wir und vor allem auf das Fachwissen von NGOs und Unterstützungsorganisationen, Foyers. Sie begleiten die Unterstützten nicht nur juristisch, sie bringen diese auch unter. Davon gibt es zwei in der Schweiz: Eine in Zürich und eine in Lausanne. Sie arbeiten mit den Kantonen zusammen. Sie haben die längste Erfahrung betreffend Betreuung der Betroffenen. Dies sind die Akteure, die am besten Bescheid wissen über die genauen Konstellationen. Denn bei der Polizei sind die Opfer meist nicht bereit auszusagen.

Ist die Zahl in den zwei Bereichen Prostitution und Arbeitsausbeutung in den letzten Jahren gestiegen?

Es gibt offenbar einen leichten Rückgang. Es muss hierzu noch gesagt werden, dass man in diesem Sektor je mehr man sucht, umso mehr findet. Bevor es ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür gab, und bevor ein politischer Wille bestand, dies anzukämpfen, wurden diese Fälle nicht als solche identifiziert. Je mehr man den Opfern sagt, dass man ihnen entgegenkommt, wenn sie sprechen, umso mehr gehen die Zahlen nach oben.

Sind die notwendigen Ressourcen bei der Polizei, usw. ein Thema? Offenbar ist dies auch kantonal unterschiedlich.

Die Bekämpfung des Menschenhandels liegt bei den Kantonen und wird von der bei Fedpol angesiedelten Fachstelle Menschenhandel Menschenschmuggel (FSMM) koordiniert. Heute gibt es in fast allen Kantonen ein zuständiges Gremium, die sogenannten kantonalen runden Tische gegen Menschenhandel. Die FSMM nimmt auf Wunsch der kantonalen runden Tische an den Sitzungen teil und berät sie in der Ausgestaltung der innerkantonalen Kooperation und in praktischen Fragen der Bekämpfung. Es gibt Kantone, die sich sehr stark machen, und eine aktive Politik betreiben. Die Bekämpfung von Menschenhandel, insbesondere die spezialisierte Strafverfolgung, ist allerdings komplex und ressourcenintensiv. Um wirkungsvoll dagegen vorgehen zu können, braucht es vertiefte Kenntnisse von Spezialisten über die Vorgehensweisen von Menschenhändler. Es bedarf zudem umfangreicher, zeitlich und personell sehr aufwendiger Vor- und Strukturermittlungen, um den für eine Anklage genügenden Sachverhalt zu ermitteln.

Ein wichtiges Instrument auf Bundesebene ist der nationale Aktionsplan. Es gab einen ersten, 2014-2017, nun sind wir beim zweiten, der dieses Jahr ausläuft. Die Empfehlungen unserer ersten Studie sind sicherlich teilweise darin eingeflossen. Es wird nun sicher bereits ein neuer nationaler Aktionsplan ausgearbeitet. Die Fachstelle FSMM veröffentlicht ausserdem Fachtsheets und Checklisten. Die Checkliste zum Menschenhandel ist sehr umfassend und ein wichtiges Werkzeug für die Akteure.

Basiert der neue Aktionsplan auf die neue Studie?

Ich nehme an, dass die Studie und die Kenntnis daraus, an der wir jetzt arbeiten, im neuen Aktionsplan einfliessen wird.

Das Schweizerische Forum für Migration und Bevölkerungsstudien legt besonderen Wert auf den Wissenstransfer an ein interessiertes Publikum.

  • Auf welche Weise wird dieses Ziel verfolgt?
  • Welches Publikum erachten Sie als interessiert und welche Themen sind von Bedeutung?

Im Falle von Mandatsstudien ist das natürlich in erster Linie der Mandant, wobei die Studien immer veröffentlicht und sind für ein breites Publikum zugänglich gemacht werden. Verschiedene Fachgremien auf bundes- und kantonsebene sind sicher interessiert sowie auch Studierende und Forschende.

Wir sind ein Forschungsinstitut wir stellen Informationen zur Verfügung, und es ist nicht unsere Aufgabe, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Wir unterstützen die verschiedenen Gremien, unsere Erkenntnisse zu nutzen.

Wir versuchen, unsere Studien immer in verständlicher Sprache zu verfassen für ein breites Publikum.

Wir versuchen auch journalistische Anfragen zu beantworten, je nach unseren Ressourcen, die auch begrenzt sind.

Erhalten sie viele Anfragen?

Es gibt ein steigendes Bewusstsein zu diesem Thema. Das Interesse ist steigend und somit auch die Anfragen an uns. Auch die Medien zeigen sich zunehmend interessiert.